BANKING IM METAVERSUM
Was das Zukunftsthema heute schon für die Finanzwirtschaft bedeutet
METAVERSUM: WAS IST ES – UND WENN JA, WIE VIELE?
Strategie- und Innovations-Abteilungen versuchen das seit jeher zu beantworten – beim Thema Metaversum werden sie jetzt bei dieser Frage vor ganz neue Dimensionen an Herausforderungen gestellt. Denn selbst das, worin sich bisher alle sicher sind, liefert mehr Fragen als Antworten.
Das fängt schon bei der Definition von Metaversum an. Bevor wir also zahlreiche Perspektiven hören, ist hier einmal in Kürze die Grundannahme für den Rest dieses Textes: Wir orientieren uns an der Metaverse-Definition von Matthew Ball, um möglichst neutral und offen dem Thema zu begegnen. Diese Grundbausteine seiner Theorie besagen, dass es aktuell noch gar kein Metaversum gibt, es zukünftig aber mehrere Metaversen parallel geben wird. Also sprechen wir von Proto-Metaversen, wenn es um die aktuellen Möglichkeiten geht. Ball sagt auch, dass ein Metaversum nicht zwingend immersiv sei, also auch die Hardware zum Erleben dieser Welt noch nicht final existent. Immersion steht in der Fachsprache für das „Eintauchen” in eine Welt, mit der User:innen auch direkt interagieren können. Eine ausführliche Definition von Begriffen wie Metaversum, Virtuelle Realität und auch eine kurze Geschichte des Metaversums finden sich in der Infografik dieser GOLDILOCKS-Ausgabe.
„Schätzungsweise gibt es aktuell 160 Proto-Metaversen“, sagt Christian Moser von der Beratung Zühlke in seinem Vortrag auf der Symbioticon 2022. In diesen 160 Welten entwickelt sich eine so innovative Welt, dass sich kaum ein Unternehmen leisten kann, die Entwicklung nur vom Spielfeldrand aus zu beobachten, ohne selbst auszuprobieren, zu scheitern und zu lernen. Denn mehr noch als bei jeder anderen Innovation, entwickelt sich diese neue Welt aus einer Symbiose der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine.
Die Vorträge, Keynotes und Gesprächen auf der Symbioticon, dem Ideenfestival des Sparkassen Innovation Hub am 22. und 23. November in Frankfurt am Main, spiegeln die Vielfalt und Unvorhersehbarkeit der Proto-Metaversen wieder. Alle Anwesenden sind von dem erheblichen Einfluss überzeugt, den virtuelle Welten haben werden. Matthias Weber vom Sparkassen Innovation Hub sagt: „Momentan befinden sich noch unterschiedliche Metaversen in der Entwicklung – sie bieten uns allen die Chance, mitzugestalten.“ Und Joachim Hunold von der Sparkasse Paderborn-Detmold prognostiziert: „Wenn Generationen im Metaversum groß werden, dann sind die da. Dann machen sie auch ihre Finanzgeschäfte dort.“
Jan Sojka von Microsoft sagt: „Mit dem Metaversum können die Banken ihre Filialen ins Digitale retten. Natürlich nicht alles, aber zumindest den Kern: das Gespräch mit kompetenten und vertrauenswürdigen Beratern zukomplexen und damit margenträchtigen Produkten.” Microsoft-Kollege Lars Meinecke ergänzt: „Ich habe die Hoffnung, dass man mit Hilfe des Metaversums aus den deutschen Sparern deutsche Anleger machen kann. Mit Gamification kann man attraktiv das nötige Wissen vermitteln.“
So weit, so positiv. Denn es gibt auch andere Stimmen. Michael Hülsiggensen von Surepay zum Beispiel gibt sich auf der Veranstaltung kritisch und meint, dass das Thema „schon gehypt wird, bevor es überhaupt losgeht. Das stört mich eigentlich.“ Fabian Grapengiesser von Stock Republic, einer der wenigen mit echter Arbeitserfahrung im Metaversum-Kontext, jedoch erzählt uns, was er in Sachen Metaversum bei einer großen schwedischen Bank erlebt hat: „Been there, done that“, meint er und dass es ein teurer Fehlschlag gewesen sei.
DER WETTLAUF HAT BEGONNEN…
Ein Metaversum unterliegt den Gesetzen der Plattformökonomie und damit insbesondere den Netzwerkeffekten (siehe dazu auch GOLDILOCKS-Ausgabe 11 – GAFA Banking) – so wie es auch die aktuellen Geschäftsmodelle von Google, Amazon, Meta und Apple tun. Diese Netzwerkeffekte nähren die Hoffnung von Investor:innen, die ihr Geld in Metaversum-Vorhaben stecken. Denn Netzwerkeffekte für monopolähnliche Marktstellungen sind aus der Sicht von Investierenden äußerst attraktiv. Sofort fällt in diesem Zusammenhang Meta bzw. Facebook auf: Facebook, als dominantes Unternehmen des Web 2.0, kaufte bereits früh Unternehmen wie Oculus, um sich Kompetenz bei VR-Brillen ins Haus zu holen. Im Herbst 2021 benannte sich gar das ganze Unternehmen um, vermutlich, um den Anspruch zu unterstreichen, dass der Unternehmenszweck nun die Entwicklung eines Metaversums wird. Facebook hatte es – im Vergleich zu Google, Amazon und Apple – bis dahin nicht geschafft, mit physischer Hardware eine nennenswerte Marktdurchdringung zu erzielen. Und ohne Hardware wurde es angesichts abnehmender Attraktivität der Social-Media-Plattform immer schwieriger, die eigene Wachstums- und Investoren-Story aufrechtzuerhalten. Ohne Frage hat die Umfirmierung den Hype um das Metaversum enorm befördert.
Die Marktmachtkonzentration der Tech-Giants ist in dieser Zeit in aller Munde, sowohl bei Entscheider:innen in der Finanzwirtschaft, als auch in der Politik und in der Regulatorik. Und längst ist einigermaßen aufmerksamen Marktbeobachter:innen klar, dass die GAFAs in den Finanzmarkt vordringen: Sie entwickeln und nutzen eigene Finanzdienstleistungen wie Apple Pay, Google Pay, Amazon Pay. Mit einem dieser Systeme zu bezahlen, bedeutet für die Anwender:innen, keinen Medienbruch zu haben. Die Nutzer und Nutzerinnen bleiben an das jeweilige Ökosystem gebunden, weil das System bequem und ein Wechsel umständlich ist. Motivation hinter diesen Finanzprodukten ist bei den Tech-Giganten also immer, das eigene Ökosystem zu stärken und die Menschen dauerhaft zu binden, man spricht dann von Lock-in-Effekten.
Zurück zum Metaversum: Dieselben Dynamiken wie beim Thema Payment lassen sich auch auf die verschiedenen Metaversen projizieren, die gerade entstehen. Jedes Unternehmen hinter einem (Proto-)Metaversum ist sich der Netzwerkeffekte und Marktdynamiken bewusst. Entsprechend hat das Wettrennen um die Marktführerschaft schon eingesetzt. Die enormen Investitionen von Meta, Microsoft oder Decentraland sind Beispiele dafür. Es ist abzusehen, dass die Metaversen zunächst nicht miteinander kompatibel sein werden, sondern als geschlossene Systeme nebeneinander existieren und miteinander konkurrieren. Das haben wir in der Welt des Web 1.0 schon gesehen: Betriebssysteme von Microsoft und Apple funktionieren nicht zusammen, zumindest nicht gleichzeitig. Oder auf einem Smartphone läuft entweder iOS von Apple oder Android von Google. Soziale Netzwerke wie Metas Facebook oder Microsofts Linkedin sind nicht miteinander kompatibel.
METAVERSEN DER GAFAs – EIN DÜSTERES SZENARIO?
Die Lock-in-Effekte des Web 2.0 sind bei den aktuellen Metaversum-Vorläufern wie Decentraland oder auch Fortnite schon zu beobachten: Im Decentraland kann mit eigener Kryptowährung „MANA“ sogenanntes digitales Land gekauft werden, als NFT. Fortnite kann kostenlos gespielt werden; wie in der Gaming-Branche üblich, erfolgt die Monetarisierung per „In-Game-Payments“ beispielsweise für Skins der Avatare. Skins werden in V-Bucks bezahlt, der Spiel-eigenen Währung, die Spieler:innen wiederum gegen Fiat-Währungen kaufen, online oder als Gutschein am physischen Point of Sale zum Beispiel im Supermarkt. In Fortnite werden Turniere gespielt und die Gewinner und Gewinnerinnen bekommen Preisgelder. Diese werden von Fortnite ausgezahlt. Fortnite arbeitet hierbei, wie auch bei den Verkäufen von V-Bucks, mit dem Payment Service Provider Xsolla zusammen.
Doch wenn in einem Metaversum die Betreiber die Geldversorgung und die Abwicklung der Bezahlvorgänge sel-
ber machen, welche Rolle haben dann Banken überhaupt noch?
„Die Tech-Riesen bauen Burggräben auf,” konsterniert auf der Symbioticon „Finance Forward“-Redakteur Caspar Tobias Schlenk. Lena Sonnen, Mitgründerin der Crowdfunding-Plattform Konvi und Ex-Facebook-Mitarbeiterin, hält dagegen und meint: „Es muss nicht nur einen Gewinner geben. Wichtig ist nur die Interoperabilität, also dass User:innen von einer Welt in die andere switchen können.“
Klingt erstmal sinnvoll, aber vielleicht ist das wieder nur von Wert aus unserer derzeitigen Sichtweise. Julius Nagel, Venture-Partner bei Picus, erwidert: „Vielleicht wollen beispielsweise Spieler:innen gar nicht ihre Laser-Schwerte von einem Spiel ins nächste transferieren. Beispielsweise weil dort mit den Fäusten gekämpft wird – oder weil Optik und Stil so individuell sind, dass Interoperabilität all das zerschießen würde.“ Trotzdem ist Nagel für offene Systeme, „weil sich dadurch viel mehr Innovationen ermöglichen”.
WELCHE USE CASES BLEIBEN DEN BANKEN?
Die Deka hat als eine der ersten Banken eine Zentrale im Proto-Metaversum Decentraland eröffnen. Auf einem Panel der Symbioticon lässt Lothar Weißenberger, Deka Managing Director Marketing und Digitale Medien durchblicken, dass er sich mehr von dieser Entscheidung erwartet hat: „Wir befinden uns nur im Metaverse 1.0 und müssen uns dort trotzdem als Marke positionieren. Es ist ein virtueller Ideenwettbewerb und natürlich schauen wir uns international um. Allerdings fehlt es nicht nur an Kund:innen, sondern dadurch auch an Influencer:innen und Content Creatorn mit Reichweite.“
Auf dem gleichen Panel sitzt auch Rami Ajaj von Baufi24. Der digitale Finanzierungsvermittler plant 3D-Welten der zu verkaufenden Wohnungen zu erstellen, sodass Interessierte nicht mehr anfahren müssen. Hinter der Idee stehen klare Erwartungen: „Der Kanal der Beratung macht einen Unterschied bei der Konvertierung von Kunden im Baufinanzierungsgeschäft. Videoberatung steigert die Conversion gegenüber Telefonberatung. 3D-Beratung wird die Konversion hoffentlich noch weiter steigern.“ Größte Herausforderung hier: ob auch virtuell eine echte Verbindung mit Berater:innen entstehen kann? Greift idealerweise sogar der digitale FOMO-Effekt (Fear Of Missing Out) und es werden noch schneller Kaufverträge abgeschlossen, weil die Konkurrenzsituation nicht so einfach zu überblicken ist wie bei einer klassischen Immobilienbesichtigung? Bei allem Optimismus gesteht Ajaj aber: „Wir sind technologisch noch nicht da, wo wir hin müssen.“
An der Technik wird gearbeitet, und es wird nach gängiger Meinung noch zehn Jahre dauern, bis eine Metaversum-Anwendung brauchbar wird. Zehn Jahre sind ein langer Zeitraum; soweit in die Zukunft zu denken, fällt in der Regel schwer. Vor zehn Jahren hätten die wenigsten Nutzer erwartet, dass sie ihre Finanzgeschäfte mehr und mehr auf einem Mobiltelefon erledigen. Heute ist es üblich, jedenfalls in einigen Kundensegmenten. Noch einmal zehn weitere Jahre zurückgeschaut: Zu Beginn der 2000er hätten sicherlich die wenigsten Menschen erwartet, dass sie ihre Finanzgeschäfte ohne persönlichen Kontakt und ausschließlich mit digitalen Belegen erledigen. Und wenn wir jetzt einmal zehn Jahre nach vorne schauen: Vielleicht werden VR-Brillen und Haptic Suits eine übliche Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine sein und sich einreihen in die heute üblichen Interfaces wie Computer, Tablets, Smartphones und Smartwatches. Misch Strotz, CEO und Co-Founder von Neon Internet, prognostiziert sogar: „AR-Brillen werden wir alle ständig tragen, die aber dann natürlich nichts mehr mit den Ausmaßen der aktuellen Modelle zu tun haben.” Hoffentlich reduzieren diese Modelle dann auch das Maß an Motion Sickness, denn wenn weiterhin zehn Prozent der Bevölkerung aufgrund von Übelkeit grundsätzlich aus der virtuellen Welt ausgeschlossen blieben, wäre das das Aus für Team-Treffen oder Konferenzen.
MÖGLICHKEITEN FÜR DIE BANKEN
Kann ich als Bank einfach eine Filiale in einem Metaversum aufmachen? Nein, vermutlich nicht. Der Betreiber eines Metaversums wird als Gatekeeper agieren, um das Angebot wie bei einer Plattform des Web 2.0 zu kuratieren. Nicht Käufer:innen und Verkäufer:innen sollen ausgewogen zueinander finden, auch der Betreiber der Plattform selber wird wohl, analog zu den Provisionsgeschäftsmodellen des Web 2.0, die Hand aufhalten. Spannend ist also die Frage, ob Banken eine Präsenz im Metaversum eröffnen, um entweder im dortigen Finanzökosystem aus Kryptowährung und NFT (und was sonst noch kommen mag) Finanzdienstleistungen anzubieten oder ob sie dort mit den Nutzer:innen zwar zu interagieren, tatsächlich aber Banking mit Werten aus dem realen Leben anbieten. Quasi wie im Web 1.0.
Welche Möglichkeiten bleiben also? Zühlke-Berater Christian Moser liefert in seinem Symbioticon-Vortrag eine ganze Reihe an Möglichkeiten: „Naheliegend ist, Metaversen zu nutzen, um neue Kunden zu gewinnen und auch spielerisch zu interagieren. Virtuelle Events und generell Finanzbildung können ein großes Thema sein, ebenso wie immersive Beratung, begleitende Finanz-Assistenz und natürlich Embedded Finance und AR-Payment.“
Nach heutigem Stand werden Banken ein paar Regeln beachten müssen, wenn sie in die kommenden Metaversen der Tech Giants einziehen wollen. Aus dem Web 2.0 haben wir gelernt, dass Banken sehr wohl ihre Apps in die einschlägigen App-Stores bringen können, so lange sie eben den Betreibern keine Konkurrenz machen. So bleibt bei Apples iPhone die NFC-Schnittstelle für Banken praktisch tabu – und damit auch das mobile Bezahlen. Übertragen auf das Metaversum: Banken können mit ihren Kunden interagieren. Wenn eine Identifizierung möglich ist, sind auch Fiat-Geldgeschäfte möglich. Aber bei Geschäften in der Metaversum-eigenen Währung wird eine Provision fällig.
DIE WICHTIGSTE AUFGABE DERZEIT: DRANBLEIBEN!
Denn: Wenn geschlossene Systeme virtuelle Realität werden, werden die Betreiber eigene Finanzsysteme bilden (siehe aktuell Krypto und NFT), die die Banken in dieser neuen Welt irrelevant machen. Auch wenn aktuell nicht klar ist, welche Metaversen es geben wird und welche Finanzdienstleistungen überhaupt entwickelt werden können – dabei zu sein und mitzugestalten ist jetzt die Chance.
Mit welchen Mitteln können Banken bei dieser Systementscheidung mitwirken? Zuerst setzt dieses Mitwirken natürlich ein gutes Verständnis der Situation und Detailwissen über das System-Duell zwischen offen und geschlossen voraus. Dann sollten Banken auch direkt selbst umsetzen, worüber sie sprechen, also Experimente zu neuen Produkten oder Angeboten auf offenen Systemen durchführen und nicht auf geschlossenen. Viele Entscheidungen im Metaversum werden finanzieller Natur sein. Identity-on-a-Chain und andere SSI-Ansätze (SSI = self-soverign identity) sind zwar im Interesse der Nutzerschaft und sind ein kritischer Enabler für eine Welt von offenen Metaversen. Diese Ansätze haben jedoch keine Geldgeber und Ressourcen wie Meta Horizons. Banken sollten deshalb eher diese Ansätze unterstützen.
Und wenn gar nichts mehr hilft, sollten Banken sich politischen Support holen und die regulatorische Keule viel früher rausholen als im Web 2.0. Da war es nämlich schon zu spät.
SCHLUSS MIT MARKETING
Nicht zuletzt gilt: Wer mitmacht, um selbst zu lernen, hat eine andere Motivation, als wenn die Motivation aus der Marketingabteilung vorgegeben wird. Der Arbeitsauftrag könnte also lauten: ausprobieren, testen, lernen, dabei sein. Wie gelingt das am besten? Indem man selbst Nutzer:in ist – und beispielsweise die nächsten Team-Meetings in einem Metaversum abhält und so lernt, was das eigentlich bedeutet. Dann entstehen die nächsten Ideen von selbst.
Ex-Facebookerin Lena Sonnen rät noch: „Nicht auf den FOMO-Train aufspringen, sondern immer den User-Nutzen in den Fokus stellen. Ich denke, wenn aktuell niemand mehr in eine reale Bankfiliale geht, wieso sollte das dann in einem Metaversum passieren?“ Lothar Weißenberger von der Deka nennt seine aktuelle Strategie „kontrollierte Offensive“: „Das bedeutet, Korrekturen und harte Learnings in Kauf zu nehmen.”
Wenn die Stimmung so bleibt, wie sie auf der Symbioticon 2022 zu spüren war, bleibt auch diese ungewisse virtuelle Zukunft positiv – denn es kann einfach alles passieren. Und das bedeutet eben auch, dass vielleicht gerade jetzt in einer Sparkassen-Filiale diese eine Idee für einen nächsten Metaversum-Trend geboren wird.